Athetenbericht von Susanne Haun vom 04.10.2015:
Die Sellaronda oder warum ich ein Rennrad brauche
"Susanne, wir kaufen dir ein Rennrad". "Für was, nein ich brauche keins".
Innerhalb von kürzester Zeit besaß ich ein Stevens Damen Rennrad, hatte drei Tage Zeit zum üben und machte mir Gedanken für was ich das Rad brauche, welches mein Mann ohnehin schon erworben hat.
Am 4.Tag fuhren wir zum Urlaub nach Lana in Südtirol. Als Gepäck hatte ich einen Koffer, ein MTB, ein Rennrad, Laufschuhe und Wanderschuhe." Verreist so eine Frau, die Hotel mit Innen und Außenpool, Whirlpool und Sauna gebucht hat"?
Die Teilnehmer der Reisegruppe der wir uns anschlossen, waren alle sehr nett und gut drauf, jedoch reisten einige früher ab sodass ich die verbleibende Urlaubstage mit einer Weltmeisterin, einem Deutschen Vize Meister, einer mehrfach Ironwoman und einem mehrfach Ironman verbrachte.
Zum Glück waren außer meinem Mann und mir noch zwei ganz normale Pärchen dabei, was mich merklich entspannte.
Unser Tourenplaner Norbert hat die Tour rund um den Sellastock als Königsetappe mit dem Rennrad vorgeschlagen. Bei den Gesprächen hörte ich heraus dass Steffi und ich auch mitfahren.
Der erste Pass ist zum Einfahren, der zweite Pass ist nur eine Welle, der dritte Pass ist der schwierigste und über den vierten Pass wurde nicht viel geredet weil er ja nur so wenig Höhenmeter hat.
Yvi, Maui, Edith, Norbert, Steffi, Claus, Harald und ich starteten in Wolkenstein zu unserer ersten gemeinsame Rennradtour. Alle locker und motiviert, nur Steffi und ich mit zittrigen Knien und Fragezeichen im Kopf.
Einrollen war nicht, schon hinter dem Ortsschild Wolkenstein ging es mit 6-8% los. Ich saß noch keine halbe Stunde auf dem Rad da wurde mir klar, dass "Wellen" Auslegungssachen sind. Aus dem Fragezeichen im Kopf wurde ein riesengroßes Ausrufezeichen (wie blöd kann man sein). Den ganzen Pass nach oben prüfte ich meine Gänge und suchte nach Möglichkeiten um die Fahrt so kräfteschonend wie möglich zu gestalten. Viel war da nicht zu machen. Nicht mal die Nase hab ich mir geputzt, was aber von Nöten war. Kurz vor der Ankunft am Grödner Joch kam uns Maui ein Stück entgegen um uns Mut zu machen. Es machte uns Mut.
Zur Abfahrt nach Corvara hab ich alles angezogen was ich in meinem Rucksack hatte und mich nochmal bei allen Cracks schlau gemacht wie das mit dem Bremsen so funktioniert. Auf der Abfahrt war ich sehr gewissenhaft und konnte sie genießen. Norbert gibt mir noch den Tip auf den Weg, mich mit dem Knie in die Kurven zu legen, er kontrolliert das zwei Kurven lang und fuhr dann sein Ding. Etwas durchgefroren kam ich unten glücklich an, die Nase tropfte pausenlos.
Die zweite Auffahrt war schon besser, ich konnte sogar meinen Nase putzen, trinken, gelegentlich aufschauen und kräftig rein treten, war aber immer noch so mit mir beschäftigt dass ich am Schild Passo Cambolongo vorbei gefahren bin. Ich wurde zurückgerufen und sollte mich wieder warm anziehen. "Sind wir schon oben" fragte ich tatsächlich.
Das mir die Nase dauernd tropft ist weiter kein Problem, meinten die anderen, ich muss nur lernen seitlich raus zu rotzen ohne meine Klamotten zu treffen.
Nach der Abfahrt nach Arraba stärkten wir uns mit Cappuccino und Apfelstrudel, die Sonne wärmte uns.
Der dritte und längste Pass mit 9,5 km Aufstieg war anstrengend und ewig lang, aber ich wusste dass ich es schaffe. Ich konnte mich umsehen und bei herrlichen Sonnenschein die gewaltige wunderschöne Bergwelt bewundern. Über den Bergen schwebten Paragleiter, es war ganz still, gewaltig und still.
Die stetige Bewegung in den Beinen, das langsame Vorankommen, die Anderen in Sichtweite und Steffi an der Seite zu haben, zieht mich nach oben, langsam, Stück für Stück.
Ein unbeschreibliches Erlebnis.
Wenn Maui entgegenkommt, ist's nicht mehr weit. Da können wir auch gleich wieder lachen. Was ich überhaupt nicht verstehen kann ist das alle vier Männer schnell voran fahren, nur um uns beim vorbei schleichen in der Steigung zu fotografieren. Natürlich hoffen wir auf kein Scheißgesicht des Jahres.
Ehrfurcht überkam mich bei der Ankunft am Pass Pordoi.
Nach dem Anziehen der warmen Klamotten sammeln wir uns um Norberts Ansprache zu höheren."
"Nur noch 400 m runter und 400 m rauf" " Häääh." "Natürlich Höhenmeter."
Unten angekommen sollten wir sofort wieder Berg auf fahren, aber wir standen schon ausgeklickt mit zu großem Gang im Berg.
Steffi und ich wurden von allen anderen zur Weiterfahrt gepusht." Weiter, weiter, weiter! Parallel rannten wir zwei mit dem rechten Fuß bergauf und der linke Fuß steckte im Pedal. Ein Schauspiel für die 6 restlichen Ausdauersportler ohne Kamera, aber großem Gegröle.
Als wir im Sattel saßen merkten wir schnell das dieser Berg etwas anderes war. Hier gab es kurze Rampen mit 12-13%, deshalb hatte zuvor keiner über den vierten Pass gesprochen. Aber auch das haben wir gemeistert und fuhren an einer gigantischen Bergwand zur Rechten nach oben.
Klaus hat uns die letzten Höhenmeter hochgebabbelt und gemeint wir sollen das letzte Stück noch genießen. Maui kam uns entgegen und wir wussten wir haben es geschafft.
Glücklich am Sellajoch stell ich mir die Frage.
"Brauch ich ein Rennrad?" Ja ich brauch eins, und das Rotzen auf die Seite lerne ich auch noch."
Die Tourdaten: 1923 HM und 61,5 Km in 4:33 Stunden